#FEMSmicroBlog: Benutzt Du Agar? Sag ‘Danke’ an Angelina Hesse!

24-09-2020

 Angelina Fanny Hesse war der kreative Kopf hinter dem Gebrauch von Agar als Nährmedium, um Mikroorganismen zu züchten. Obwohl Agar ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Mikrobiologielabors ist, verbleibt ihr Beitrag weitgehend unerkannt. In diesem Blogeintrag erzählt Vanesa Ayala (@VanesaAyalaN) die Geschichte dieser Entdeckung. #MicrobiologyIsEverywhere

*To the original English version: #FEMSmicroBlog: Got agar? Say thanks to Angelina Hesse!*

Es ist ein ganz normaler Tag im Labor. Es liegt ein süßlicher, hefiger Duft in der Luft.

Biep biep biep.

Der Autoklav ist gerade fertig geworden und Du gießt die 50 Agarplatten, die Du für die Arbeit dieser Woche brauchst. Als Du darauf wartest, dass sie abkühlen und fest werden, starrst Du auf die gelbliche gallertartige Substanz und wunderst Dich: ‚Wer ist den darauf gekommen?‘ Das ist so eine schlaue Idee und essenziell für jegliche mikrobiologische Arbeit.

Als Mikrobiologe, kannst Du dir ein Leben ohne Agar vorstellen?

Kartoffelscheiben, Gelatine oder Agar? Frag Lina Hesse.

Angelina (Lina) Fanny Hesse (1850-1934) war die Erste, die den Gebrauch von Agar als Nährmedium zum Anzüchten und zur Isolierung von Bakterien vorschlug. Ihr Beitrag zur Mikrobiologie ist wesentlich, verbleibt jedoch weitgehend unerkannt.

Angelina Fanny Hesse, 1883 (Wikipedia)

Vor Lina Hesses Zeit war das Klassifizieren von Mikroorganismen so komplex, dass Carl von Linné alle Bakterien der Ordnung Chaos zuordnete. Damals war es wahnsinning schwierig individuelle Bakterien zu identifizieren, weil man sie nicht ordentlich im Labor züchten und isolieren konnte (und, da es damals molekulare Analysen noch nicht gab).

Damals beinhalteten Nährmedien Polenta, geronnenes Eiweiß, Fleisch, Kartoffelscheiben und Gelatine. Kannst Du dir vorstellen, Bakterienkulturen auf Polenta wachsen zu lassen? Viel Glück damit! Gelatine bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich: sie schmilzt bei 37 °C und kann von Bakterien abgebaut werden.

Vor Lina Hesses Zeit war das Klassifizieren von Mikroorganismen so komplex, dass Carl von Linné alle Bakterien der Ordnung Chaos zuordnet.

Lina Hesse war eine wissenschaftliche Zeichnerin und technische Assistentin, die unbezahlt für ihren Ehemann Walther Hesse arbeite, der wiederum ein Teil von Robert Kochs Labor in Berlin war. Walther Hesse und Robert Koch versuchten vergeblich reine und langlebige Bakterienkulturen zu isolieren. Dafür benutzen sie Kartoffelscheiben und Gelatine.

Lina Hesse, die bei der Herstellung der Nährmedien für die Arbeit von Walther Hesse half, schlug vor Agar, einen Extrakt aus Meeresalgen, als Alternative für stabilere Nährmedien zu benutzen. Sie kannte Agar-Agar von Freunden ihrer Familie, die auf Java (Indonesien) lebten, wo dieser Meeresalgenextrakt zum Kochen verwendet wurde und wo Nachtisch auch bei den heißen südostasiatischen  Temperaturen vor Ort nicht schmolz.

Es stellte sich heraus, dass Agar die Lösung zu all ihren Problemen war. Robert Koch erkannte sofort die Vorteile und benutzte Agar um die berühmenten Tuberkulosebazillen zu isolieren. Allerdings bekamen weder Lina noch Walther Hesse Anerkennung für ihren Beitrag zur Benutzung von Agar in der Mikrobiologie.

Bilder von Vanesa Ayala/Tasha Sturm
Warum ist Agar so essenziell in der Mikrobiologie?

Agar ist die perfekte Lösung, weil er mit nährreichen Medien gemischt werden kann, und er auch bei hohen Temperaturen fest bleibt. Agar ist transparent, von Mikroorganismen nicht verwertbar und sterilisierbar.

Zum ersten Mal konnten Mikrobiologen das bakterielle Wachstum so kontrollieren, dass Bakterien eindeutig isoliert werden konnten. Dieser augenscheinlich einfache Prozess wurde ein essenzielles Werkzeug für Mikrobiologen. Die Isolierung und das Anzüchten von Bakterien ist häufig eine Voraussetzung, um die Bakterien zu identifizieren und studieren zu können.

Heutzutage wird Agar sogar für Kunst verwendet. Du wirst fasziniert sein, wenn Du einen Blick auf die Agar-Kunstwettbewerb wirfst, der von der Amerikanischen Gesellschaft der Mikrobiologie veranstaltet wird.

Frau Hesses medium

Viele haben Lina Hesses Entdeckung unterschätzt. Aber Linas Beschäftigung als Laborassistentin bedeutete, dass sie Erfahrung mit den technischen Abläufen hatte. Sie kannte die Arbeit, die Probleme und die technischen Anforderungen. Was einige als Glückgriff vertuen, war was wir heutzutage ‚Troubleshooting‘ nennen. Sie wusste was sie tat.

Für einen Mikrobiologen ist ein (Arbeits-)Leben ohne Agar unvorstellbar. Aber stell Dir doch einmal vor, wenn jeder in einem Mikrobiologielabor sagen würde: “Wie viele Frau Hesses Platten brauchst Du?“

Im Jahre 1938 erkannten zwei Forscher und Historiker die Bedeutung von Lina Hesses Beitrag an und schlugen vor: „Könnte nicht einfach ‚Agar‘ von nun an als ‚Frau Hesses Medium‘ bezeichnet werden? Ihr Beitrag zur Bakteriologie macht sie unsterblich.“

Für einen Mikrobiologen ist ein (Arbeits-)Leben ohne Agar unvorstellbar. Aber stell Dir doch einmal vor, wenn jeder in einem Mikrobiologielabor sagen würde: „Ich muss noch warten bis Frau Hesses Medium fest geworden ist.“ Oder „Wie viele FH-Platten brauchst du?“

Das würde den essenziellen Beitrag von Lina Hesse zur Mikrobiologie zwischen die monumentale Arbeit der Pioniere wie Walther Hesse, Julius Richard Petri und Robert Koch zementieren. Ehre wem Ehre gebührt.

 

Über die Autorin dieses Blogs

Vanesa Ayala-Nunez hat über zehn Jahre Erfahrung als Forscherin im Gebiet der Infektionskrankheiten. Sie arbeitet an der Schnittstelle zwischen Virologie, Immunologie und Zellbiologie und beherrscht daher den Umgang mit mehreren furchterregenden Humanpathogenen. Sie schrieb ihre Doktorarbeit an der Universität Groningen in den Niederlanden und hatte eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am IRIM in Frankreich. Vanesa ist nun Wissenschaftliche Redakteurin und arbeitet in Deutschland und Frankreich. Sie arbeitet zus an verschiedenen Science-Kommunikationsprojekten und arbeitet ehrenamtlich für das FEMS Volunteers’ Translation Team.

Dieser Blogeintrag wurde von Carolin Kobras (@carokobras) ins Deutsche übersetzt.

Über diese Blogreihe

Die Reihe #MicrobiologyIsEverywhere steht dafür, dass Mikrobiologie keine Grenzen kennt, und auch für die Tatsache, dass Mikrobiologen überall sind und sich unser FEMS Netzwerk weit über Europa hinaus erstreckt. Diese Blogreihe akzeptiert Beiträge von exzellenten Blogs, die ins Englische übersetzt wurden. Auch regionale Geschichten mit weltweiter Relevanz sind willkommen.

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